Deutsche Unternehmen trauen Frauen im Vorstand weniger zu als Männern

  • KI-Analyse: BCG Gender Diversity Index offenbart Gender-Bias in Pressemitteilungen zu Berufungen in Vorstand – trotz ausgewogener Selbstdarstellung auf LinkedIn
  • Geschlechterdiversität im Topmanagement der 100 größten deutschen
    Unternehmen stagniert auf niedrigem Niveau
  • Auswertung von 4.800 Beförderungen: Aufstiegschancen für Frauen bei DiversityVorreitern sechsmal so hoch
  • Schmierstoffhersteller Fuchs Petrolub ist „Diversity Champion“, gefolgt vom Softwarehersteller SAP und Flughafenbetreiber Fraport – Telekom rutscht ab

München—Wenn es um die Kompetenzen ihrer neuen Vorstandsmitglieder geht, sind Unternehmen in der Kommunikation bei Frauen zurückhaltender als bei Männern. So schreiben Deutschlands größte Konzerne in ihren Pressemitteilungen den Topmanagerinnen weniger Fähigkeiten zu als männlichen Kollegen. Bei der Selbstdarstellung auf der Karriereplattform
LinkedIn hingegen verwenden weibliche und männliche Führungskräfte gleich viele Attribute. Das zeigt eine neue Zusatzauswertung des Gender Diversity Index der Boston Consulting Group.

„Was wir schon lange geahnt haben, ist jetzt Gewissheit: Wir können erstmals einen echten Gender-Bias in Unternehmen nachweisen“, sagt Nicole Voigt, CoAutorin der Studie und Partnerin bei BCG. Mit Hilfe der „Natural Language Processing“-Methode, also maschineller Verarbeitung natürlicher Sprache, hat die Strategieberatung 250 Pressemitteilungen und fast 400 LinkedIn-Beiträge zu Berufungen in den Vorstand analysiert. Während bei Männern in Pressemitteilungen im Durchschnitt sechs Kompetenzen genannt werden, sind es bei Frauen nur drei bis fünf. Je nach Ressort fallen die Unterschiede anders aus: Wird eine Frau etwa zur Finanzchefin ernannt, werden dazu im Schnitt 4,3 Fähigkeiten kommuniziert – bei Männern sind es sechs. Beim Vorstandsvorsitz ist die Differenz am größten: durchschnittlich 2,5 Fähigkeiten bei Frauen, mehr als das Doppelte – 5,8 – bei Männern. Gering ist der Unterschied bei supportnahen Funktionen wie Personal oder Marketing. Auf der Karriereplattform LinkedIn hingegen verwenden die neuen Manager und Managerinnen deutlich mehr Attribute, um sich selbst zu beschreiben – aber Frauen und Männer gleich viele (20).

Geschlechterdiversität im Top-Management hat offenbar Plateau erreicht
BCG analysiert jährlich die 100 größten deutschen Unternehmen, die in den Prime-Indizes (DAX, MDAX, SDAX) gelistet sind, und erstellt ein Unternehmensranking, das auf Parität und Vergütung in Vorstand und Aufsichtsrat basiert. Es gibt in diesem Jahr mehrere Indikatoren dafür, dass die Gendervielfalt in deutschen Konzernen ein Plateau erreicht hat, trotz der beiden Führungspositionen-Gesetze (FüPoG I und II), die eine Mindestanzahl von Frauen in den beiden höchsten Unternehmensgremien vorschreiben. „Trotz Quote liegt der Frauenanteil in den Vorstandsetagen lediglich bei 15 Prozent, das sind nur zwei Prozentpunkte mehr als vergangenes Jahr. Wir sehen Fortschritte bei vielen Unternehmen, aber das reicht nicht aus“, sagt Partnerin Voigt. Marcus van der Vegte, Co-Autor und ebenfalls Partner bei BCG: „Diversität im Top-Management als wirtschaftlicher Erfolgsfaktor ist noch immer nicht überall verankert. Hier liegt noch großes Potenzial.“

Bei den Neubesetzungen gingen die Stellen in diesem Jahr in zwei von drei Fällen an einen Mann. Nur 22 Unternehmen haben 2022 ihren Frauenanteil im Vorstand erhöht, 27 Unternehmen im Aufsichtsrat. Hinsichtlich der Vergütung war das aktuelle Jahr sogar ein Rückschritt: Das Verhältnis in Vorstand und Aufsichtsrat hat sich leicht verschlechtert. Insgesamt klettert der durchschnittliche Indexwert um zwei Punkte auf 52. Bei 100 Punkten wäre vollständige Parität erreicht.

Die Spitzenreiter bieten Top-Managerinnen Flexibilität
Ebenfalls mittels Künstlicher Intelligenz hat BCG auch die Karrierepfade von 4.800 Führungskräften auf der ersten und zweiten Ebene unterhalb des Vorstands analysiert. Dabei wird klar: Auf dem Weg nach oben ermöglichen die Index-Vorreiter ihren Managerinnen mehr Flexibilität und reagieren auf die sich verändernden Bedürfnisse der Frauen. „Die Spitzenreiter unter den Firmen binden weibliche Führungskräfte erfolgreicher an das Unternehmen“, sagt Prof. Isabell Welpe von der Technischen Universität München, Co-Autorin des BCG Gender Diversity Index. Denn bei den Top-Unternehmen haben Managerinnen im Vergleich zu den Schlusslichtern eine mehr als sechsmal so hohe Chance, befördert zu werden. Über einen Zeitraum von fünf Jahren wurden 13 Prozent der weiblichen Führungskräfte bei den Spitzenreitern befördert. Bei den Schlusslichtern lag die Beförderungsquote im gleichen Zeitraum bei nur zwei Prozent. Vorreiter binden weibliche Führungskräfte auch erfolgreicher an das Unternehmen: Die Fluktuation der Managerinnen, die bei den Diversity-Schlusslichtern angestellt sind, ist um 14 Prozent höher als bei den Spitzenreitern.

Schmierstoffhersteller Fuchs Petrolub ist „Diversity Champion“
Spitzenreiter im BCG Gender Diversity Index, der in diesem Jahr zum sechsten Mal erscheint, ist der Schmierstoffhersteller Fuchs Petrolub. Das Unternehmen aus Mannheim führt den Index mit 87,3 von 100 möglichen Punkten an und ist damit Diversity Champion. Knapp dahinter liegt mit 86,1 Punkten SAP. Das Führungstrio im BCG Gender Diversity Index komplettiert der Flughafenbetreiber Fraport (84,7 Punkte), der sich von Platz 11 im Jahr 2021 auf Platz 3 vorgearbeitet hat. Vorjahresprimus Deutsche Telekom rutscht auf Rang 4 ab. Entscheidend für das Abschneiden im Index sind der Anteil der Frauen in Vorstand und Aufsichtsrat sowie deren Vergütung im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen. Schlusslichter sind in diesem Jahr die Unternehmen Teamviewer (Software), Rational (Großküchen) und Varta (Batterien).

Boston Consulting Group
Julian Bird
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Über die Studie

Für den BCG Gender Diversity Index 2022 haben die Boston Consulting Group (BCG) und die Technische Universität München (TUM) die nach Marktkapitalisierung 100 größten deutschen Unternehmen untersucht, die in einem der Prime-Indizes (DAX, MDAX, SDAX) gelistet sind und die benötigten Daten zur Berechnung des Index veröffentlichen (nach Marktkapitalisierung zum Stichtag 14. November 2022). Untersuchungsgrundlage ist der Anteil an Männern und Frauen in Vorstand und Aufsichtsrat des jeweiligen Unternehmens zum Stichtag sowie die Verteilung der Vergütung in den beiden Gremien nach Ausweis des letzten vollständigen Jahresberichts. Diese vier Faktoren gehen jeweils zu einem Viertel in die Gesamtwertung ein.
Weitere Ergebnisse und den kompletten Index finden Sie hier.

Über BCG

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