Düsseldorf, 26. Oktober 2020 – Deutsche Unternehmen tun sich schwer mit der Geschlechtergleichstellung in Vorständen. Dabei gibt es genügend Kandidatinnen: In den Top 100 an der Börse notierten Unternehmen liegt die Frauenquote auf der ersten Ebene unter dem Vorstand bei 19 Prozent, auf der zweiten Ebene sogar bei 23 Prozent. Damit ist der Anteil an Frauen in der sogenannten Talent-Pipeline etwa doppelt so hoch wie im Vorstand – dort sind nämlich nur rund zehn Prozent weiblich. Seit 2017 ist der Frauenanteil um gerade einmal vier Prozentpunkte gestiegen. Bei diesem Tempo wird es noch mehr als 30 Jahre dauern, bis im obersten Führungsgremium Geschlechterparität erreicht ist. Das ergab eine aktuelle Analyse der Boston Consulting Group (BCG). Die Strategieberatung hat im Rahmen einer noch unveröffentlichten Studie die Vielfalt in den Vorständen und Aufsichtsräten der 100 größten börsennotierten Konzerne Deutschlands untersucht.
„Obwohl alle Fakten für mehr Vielfalt in der Führung sprechen, kommt die Gleichstellung nur in winzigen Schritten voran: Es gibt genügend Frauen in der Talent-Pipeline, die für Top-Jobs geeignet sind. Und Unternehmen, die Wert auf Diversität legen, arbeiten nachweislich erfolgreicher und sind innovativer“, sagt Nicole Voigt, BCG Managing Director and Partner. Untersuchungen von BCG belegen, dass Unternehmen mit vielfältigen Führungsteams im Schnitt um neun Prozentpunkte höhere EBIT-Margen erreichen. Auch der Umsatzteil, den diese Unternehmen mit Innovationen erwirtschaften, liegt deutlich vor dem männerlastiger Wettbewerber, nämlich um rund 20 Prozentpunkte.
Deutschland schneidet im europäischen Vergleich schlecht ab
Im europäischen Vergleich gehört Deutschland in Sachen Diversity zu den Schlusslichtern. Mit zehn Prozent Frauenanteil in der obersten Führungsriege belegt das Land Platz 24 unter den 27 EU-Staaten. In den Vorstandsetagen der europäischen Nachbarländer sieht es deutlich besser aus: In Schweden ist ein Viertel der Vorstände weiblich, in Frankreich ein Fünftel und in Spanien immerhin noch ein Sechstel. In allen drei Ländern gilt seit Jahren eine gesetzlich festgelegte Gleichstellungsquote.
„In Unternehmen Zielgrößen zu definieren und deren Erreichung nachzuhalten ist sehr effektiv. Das zeigen nicht nur die Beispiele aus Europa, sondern auch die Praxis in deutschen Aufsichtsräten“, erläutert Nicole Voigt. Für diese gilt seit 2016 eine Frauenquote. Inzwischen ist jedes dritte Mitglied der Kontrollgremien weiblich.
Verbindliche Regeln befördern Vielfalt
„Wenn der Geschlechterausgleich auch in den Vorständen gelingen soll, müssen Politik und Wirtschaft die Entwicklung aktiv vorantreiben“, betont Voigt. Es gehe darum, Transparenz zu schaffen, beispielsweise durch Veröffentlichungspflichten von Frauenanteilen bei Führungskräften – insbesondere auf den oberen Ebenen.
Als weitere Hebel können Anreize für Familien wirken. So fördern steuerliche Maßnahmen wie Änderungen beim Ehegattensplitting eine gleichmäßigere Verteilung von Erwerbsarbeit in der Familie. Auch das tradierte Rollenverständnis, bei dem Männer Vollzeitkarriere machen und Frauen – auch gut ausgebildete – in Teilzeit arbeiten und sich um die Kinder kümmern, hemmt die Entwicklung. Aktive Jobsharing-Angebote für Führungskräfte könnten dieses Rollenbild in Richtung von mehr Gleichberechtigung verändern. Nicole Voigt: „Gleichstellung funktioniert nur, wenn alle – auch Männer – sie aktiv leben.“
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